Freitag, 11. Oktober 2013

Spätsommerwege - und schon vorbei...

 


Wege zu gehen - altbekannte, kürzlich entdeckte oder auch ganz neue - kann zu jeder Tages- und Jahreszeit ein Genuss sein: in der frischen Sommermorgenluft ebenso wie an einem sanftnebligen Herbstvormittag, auf schattigen Waldwegen an einem heißen Nachmittag im Juli oder auch durch verschneites Gelände in der Winterabenddämmerung. Jede Zeit hat ihren Reiz und ihre ganz eigene Stimmung. Jede lässt auch in mir entsprechende "Saiten" mitschwingen, lockt mein Bewusstsein in eine bestimmte Richtung. Beim Gehen kommen nicht nur die Beine in Bewegung, auch Gedanken und Gefühle geraten in Fluss, innere Bilder steigen auf, Erinnerungen werden wach und so manche Sorgen kann ich mit raschen Schritten ein Stück hinter mir lassen.


Wege durch die herbstlicher werdende Landschaft mit ihrem Nebeneinander von prallem Leben und Verfall, Farbenpracht und Verblassen, Licht und Schatten, mit dem mostigen Duft der verfaulenden Falläpfel in der Nase und dem verschleierten Glanz der Morgensonne im Gesicht - nichts gibt mir ein so unmittelbares Gefühl von Wirklichkeit, von Gegenwart, nichts erdet mich stärker als das. 






Diese spätsommerlich-frühherbstliche Klarheit ist so schön, und sie ist so schnell vorbei. Kaum hat man sich in ihr eingefunden, ist sie auch schon wieder Erinnerung (so wie diese Bilder, die ich im September fotografiert habe). Dann kommt der wirkliche Herbst, der auch noch viel Schönes bereithält, aber jetzt kräftiger, erdiger, dunkler, schwerer, nicht mehr so spinnwebleicht zwischen den Zeiten schwebend wie diese kostbaren Spätsommertage, die noch nicht so recht wissen, wohin sie gehören - und einfach sie selber sind, nicht mehr Sommer, noch nicht Herbst, sondern etwas ganz Eigenes, Einzigartiges: Spätsommer...



Von Kurt Tucholsky gibt es einen Text, der diese besondere Stimmung ganz wunderbar zum Ausdruck bringt:

Die fünfte Jahreszeit
Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn
sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt,
so müde ist es - wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe
Herbst noch nicht angefangen hat - dann ist die fünfte Jahreszeit.
Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an andern Tagen atmet sie unmerklich
aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist,

gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist - nun ist es vorüber .

Nun sind da noch die Blätter und die Sträucher, aber im Augenblick dient das zu
gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: im Augenblick
steht das Räderwerk still. Es ruht.

Mücken spielen im schwarzgoldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne,
tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen ... kein Blatt
bewegt sich, es ist ganz still. Blank sind die Farben, der See liegt wie gemalt,
es ist ganz still. Ein Boot, das flußab gleitet, Aufgespartes wird dahingegeben - es ruht.

So vier, so acht Tage - Und dann geht etwas vor. Eines Morgens riechst du den
Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar
nichts geändert - und doch alles.

Noch ist alles wie gestern: Die Blätter, die Bäume, die Sträucher ... aber nun
ist alles anders....

Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht,
es solle nie, nie aufhören... Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen
beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.

Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.



2 Kommentare:

  1. Guten Morgen,
    diese Interpretation einer fünften Jahreszeit kannte ich noch nicht,
    als Rheinländer verbinde ich damit natürlich etwas anderes :-)
    Sehr schön geschriebener post mit tollen Bildern, Danke schön dafür
    und liebe Grüße, Petra

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  2. so ein schöner post! je, gehen bringt nicht nur die beine in gang. zeitlos in allen zeiten... sehr fein!
    lieben gruß
    dania

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