Sonntag, 21. Dezember 2014

Sonntagsfreuden

 
Eine besondere Überraschung kam diese Woche bei mir an: drei gedruckte Karten aus der Werkstatt von Lisa, die "Stroh zu Gold" spinnt und so manches alte, ausgediente Stück zu neuem Ansehen bringt. Hier ist es Hemdenkarton, der nun, anstatt für langweilige Herrenhemden, als Untergrund für herrlich eigenwillige und total unlangweilige Weihnachtssterne dient. Und sie sind wirklich soo vergnüglich anzusehen, diese Sterne, die zu tanzen scheinen, so lebendig wirken sie!


So lebendig, dass ich Lust bekam, mit dieser Sternenform ein wenig zu spielen.
Da gerade eine Schneidefeder in Griffweite lag, holte ich eine Klappkarte und ein Brettchen als Unterlage und fing an, einen Stern ins Papier zu schneiden. Ich wollte nur die Zacken ausschneiden und ein wenig aus dem Papier herausbiegen. Allerdings war die Feder ziemlich stumpf, so dass sie den dünnen Karton nur anritzte. Vor die Lampe gehalten, schien das Licht ganz fein durch die geritzten Linien.


Das gefiel mir, und ich machte weiter mit meiner "Schneidefederkritzelei". Verlor mich im Spiel und vergaß, dass "eigentlich" noch andere Arbeit genug auf mich wartete... und war vollkommen glücklich dabei...





...und wurde so wieder einmal daran erinnert, dass dies schon immer ein Herzenswunsch von mir ist, dem ich meist viel zu wenig Raum gebe: mit Materialien, Farben, Werkzeugen, Techniken herumzubasteln und zu -spielen, Sachen auszuprobieren, zu staunen, was manchmal ganz unerwartet dabei herauskommt - und dabei die Zeit vergessen zu dürfen.
Ich bin sehr zurückhaltend mit guten Vorsätzen für's jeweils Neue Jahr - aber dieser Herzenswunsch steht ganz oben auf der Liste!

(Und diese Ritzmethode muss ich mal mit geeigneterem Papier versuchen, die dicke, strukturierte Edelpostkarte ist natürlich nicht ideal dafür und ließ sich kaum fotografieren.)

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Von Herzen

Durch die Erlebnisse der vergangenen Wochen bin ich hellhöriger geworden für Worte und Sätze, die vom "Herzen" reden. Gleich im ersten Gottesdienst, den ich nach der Woche im Krankenhaus besucht habe, fiel mir beim Singen auf, dass in jedem Lied, das wir sangen, mindestens einmal das Wort "Herz" vorkam. Ich bin ja, ohnehin und auch von Berufs wegen, vertraut mit alten und neuen Kirchenliedern, aber auf so etwas hatte ich noch nie geachtet. 

Beim Blättern in meinem (evangelischen) Gesangbuch stieß ich auf viele, viele Herz-Zeilen, zumal in den Advents- und Weihnachtsliedern, aber auch sonst:

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, mein's Herzens Tür dir offen ist...
Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt...
...mein Herze soll dir grünen in stetem Lob und Preis...
In seine Lieb versenken... mein Herz will ich ihm schenken...
Fröhlich soll mein Herze springen...
Freut euch von Herzen, freuet euch sehr: schon ist nahe der Herr!
Ich singe dir mit Herz und Mund... 
...gib, dass nicht bet' allein der Mund, hilf, dass es geh' von Herzensgrund...
...lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht...
Geh aus, mein Herz, und suche Freud' in dieser lieben Sommerzeit...
Wach auf, mein Herz, und singe... 

(...das ist nur eine ganz kleine Auswahl...) 


Dasselbe gilt natürlich mindestens ebenso sehr für Volkslieder, vor allem die Liebeslieder, und für Schlager mit ihrer "Herz-Schmerz-Lyrik" ja sowieso.
Aber nicht nur in Liedern, sondern auch in sonstigen Texten springt mir dieses Wort nun immer wieder ins Auge, und ich finde es ganz spannend, was da alles über das Herz zu erfahren ist - in seiner doppelten Bedeutung: einmal als das lebenswichtige Organ, vor allem aber in Bezug auf die Gefühle, welche die Menschen seit alters her als im Herzen lokalisiert empfinden. 


  
Für die Reha-Wochen hatte ich mir ganz bewusst nur sehr wenig zum Lesen mitgenommen. Ein Buch habe ich in dieser Zeit besonders ins Herz geschlossen, es stand schon seit zwei Jahren (!) auf meiner "to-read-Liste" aufgrund eines kurzen Abschnitts, den ich einmal gehört und nicht wieder vergessen hatte. Das Buch heißt "Der Klang", der Autor Martin Schleske ist Geigenbauer von Beruf (einer der Besten seines Fachs), und er schreibt "Über den unerhörten Sinn des Lebens". Seine Arbeit an den Instrumenten, der Umgang mit dem Holz, den Maßen und  Proportionen, dem Lack, seine Erkenntnisse über Resonanz und Klangcharakter, die Individualität jedes Instrumentes werden ihm zu Gleichnissen des Lebens,  der Berufung und der Gottesbeziehung jedes einzelnen Menschen.


Ich habe beim Lesen immer wieder kleine Herzen an den Rand gekritzelt, an Stellen, die ich mir besonders zu Herzen genommen habe. Zum Beispiel hier:

"Die Frage, ob wir Gott finden werden, ist schlicht die, ob wir uns von Gott ins Herz treffen lassen..." (...) "Gott zu begegnen bedeutet, das Versteck zu verlassen und sich dem zu stellen, was man längst begriffen hat."

Oder hier:

"Gottes Gnade wird erst wirksam sein, wenn wir unsere Berufung annehmen und ihr gemäß beginnen, unseren Weg zu gehen. Der erste Schritt unseres Weges kann nur bedeuten, dass wir einsehen, was wir "eigentlich" längst wissen. So beginnt jeder Weg mit der eigenen Wahrhaftigkeit. Je weniger wir es tun, je mehr wir also gegen unser inneres Wissen leben, desto mehr wird uns diese Unaufrichtigkeit (...) betäuben, und wir werden sogar die letzte Ahnung davon verlieren, was Berufung heißt. Da ist die einzige Gnade, die uns erreichen kann, vielleicht nur noch der Schlag, der unser kreiselndes Ich aus der Bahn wirft, damit wir aufstehen und einen Weg sehen, dessen Ziel nicht wir selbst sind."

 
Oder schließlich ganz knapp:

"Ein Mensch, der sich in Wahrhaftigkeit übt, ist ein Mensch, dessen Kampf mit sich selbst darin besteht, das belastende Gewicht der "Eigentlich-Sätze" seines Lebens zu verringern ("Eigentlich sollte ich...").

Das Kapitel mit dem zuletzt zitierten Satz habe ich ausgerechnet am Abend des Tages gelesen, an dem ich ein Gespräch mit der Reha-Psychologin hatte. Sie machte mich darauf aufmerksam, dass ich ziemlich oft das Wort "eigentlich" benutze:
"Eigentlich will ich mit XY schon längst über dieses Thema reden..."
"Ich bin meist schnell bereit, Aufgaben zu übernehmen, und eigentlich mache ich sie ja auch alle sehr gerne..."
"Eigentlich möchte ich viel öfter dies oder jenes tun..."
"Ich habe mir eigentlich fest vorgenommen, jeden Tag mit einer stillen halben Stunde zu beginnen..."

...und so weiter. Hinter jedem "eigentlich" steht unausgesprochen ein "aber":

"...aber ich habe Angst, dass XY mich nicht versteht/sich ärgert/es Streit gibt..."
"...aber je älter ich werde, desto weniger kann ich Zeit- und Leistungsdruck brauchen."
"...aber ich erkenne, äußere und plane meine Wünsche nicht klar genug."
"...aber (immer wieder andere Gründe, dass es nicht zur regelmäßigen Gewohnheit wird)." 


Alle diese "Eigentlich"s und "Aber"s greifen auf Dauer das Herz an, belasten es und können sich dann auch irgendwann auf der organischen Ebene bemerkbar machen. Spätestens dann wird es Zeit, auf sein Herz zu hören, sich ein Herz zu fassen, das Herz nicht in die Hose rutschen zu lassen, sondern es vielleicht sogar etwas mehr als bisher auf der Zunge zu tragen... und über die eigenen Prioritäten nachzudenken.  Darüber nachzudenken, was mir wirklich am Herzen liegt, und was ich nur tue, um einem bestimmten Bild (meinem eigenen oder dem anderer) zu entsprechen. Unrealistische Wunschvorstellungen als solche zu erkennen und loszulassen, um dafür Herzenswünschen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
    

Und schließlich (wo ich nun schon beim Thema bin) kam mir mein Konfirmationsspruch aus dem Brief des Paulus an die Kolosser in den Sinn. Er lautet (in der Übersetzung von Martin Luther):

"Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen."

Ich erinnere mich, dass mich dieser Spruch damals, mit vierzehn, ziemlich geärgert hat. Heutzutage dürfen die Konfirmanden ja meist ihre Denksprüche selber aussuchen, aber unser alter Pfarrer hatte sie uns "zugeteilt", und ich war mit diesem Satz überhaupt nicht einverstanden. Ich habe die ganze Sache mit dem Glauben recht ernst genommen, aber gerade deshalb fand ich, dass man Gutes um der Menschen willen tun sollte (Nächstenliebe!) und nicht, um vor Gott irgendwie gut dazustehen. Ich verstand den Satz so, dass es dabei mehr um die eigene Frömmigkeit gehe als um das Wohl des anderen Menschen, und das war für mich Scheinheiligkeit und Frommtuerei.


Erst viel, viel später ging mir auf, dass dieser Satz in Wahrheit genau das Gegenteil meint, nämlich: Dass ich das, was ich tue, nicht wegen der Anerkennung tun soll, die ich mir dafür erhoffe, nicht um bewundert oder vielleicht auch geliebt zu werden, nicht um Erfolg bei den Leuten zu haben. Dass ich alles "dem Herrn" tue - ich versuche das in meinen Worten und assoziativ mal so auszudrücken: ohne Hintergedanken / um der Sache willen / als ob nur Jesus mir zuschauen würde / aus Liebe / ohne mich darum zu bekümmern, was andere davon halten oder was es mir bringt / - und das Allerwichtigste: "von Herzen", also nicht halbherzig oder ängstlich, nicht voller Selbstzweifel, mit schlechtem Gewissen oder nur als ungeliebte Pflichterfüllung, sondern mit ganzem Herzen bei der Sache und im Bewusstsein, dass es einen tiefen Sinn hat, was ich da tue (auch die alltäglichen kleinen Pflichten - auch all das, wovon ich denke, dass ich es nicht gut genug kann - auch das, was ich einfach nur für mich selber tue - und auch das, was ich gerne wegschieben, aufschieben möchte, weil ich mich davon gelangweilt oder aber überfordert fühle...).


Ich denke, das mit dem "...dein Ändern leben" ist genau das, was in der Bibel mit dem etwas unmodernen Begriff "Buße tun" gemeint ist: nämlich dem, was man eingesehen und verstanden hat, nicht mehr auszuweichen. Und das jeden Tag so gut wie möglich zu üben, denn es ist nicht immer leicht (jedenfalls für mich) und fertig ist man damit wohl nie. Jedes Herz erinnert mich ein bisschen daran, und tatsächlich entdeckt man im Alltag überraschend viele davon, wenn man die Augen offenhält.   :-)



Und da der Advent von alters her gerade das sein will: eine Zeit, um das zu  erkennen und einzuüben,  was man ändern und leben will, wünsche ich euch allen jetzt von ganzem Herzen noch zwei gesegnete Adventswochen, mit genau der richtigen Mischung von Geschäftigkeit und Ruhe, Fröhlichkeit und Stille: Tut eurem Herzen etwas Gutes!