Einen Blick zurück auf die letzten fünf Monate habe ich angekündigt. Wann, wenn nicht jetzt ist die richtige (na ja, man könnte auch sagen: die höchste...) Zeit dafür? Es wird ein eher knapper, sachlicher Blick werden, denn ich glaube nicht, dass ich all die Gefühle, die diese Zeit mit sich brachte, angemessen in Worte fassen kann. Jede, die Ähnliches erlebt hat, weiß, wie man sich fühlt, wenn ein sehr naher, vertrauter Mensch auf einmal anders wird, wenn Lebendigkeit in Mattigkeit, waches Interesse in Apathie, Schaffenslust in Depression umschlägt. Wenn ein Mensch, dessen untrüglichen Orientierungssinn man immer bewundert hat, sich plötzlich in seinem eigenen Haus nicht mehr zurechtfindet. Wenn er bei der Nachricht vom Tode eines Bekannten sagt: "Der hat's gut...!"
Den Kopf hat einer der Söhne in der Schule modelliert und dem Opa geschenkt
Mit meinem Vater habe ich genau so etwas erlebt. Ende Juli, Anfang August war das, in diesen heißen Wochen, die ihm besonders zu schaffen machten, weil er Hitze nicht besonders gut verträgt. Ein Infekt hatte am Abend und in der Nacht mehrmaliges heftiges Erbrechen ausgelöst, so dass ich am nächsten Morgen mit ihm zum Arzt fuhr. Er bekam eine Infusion gegen die Austrocknung und durfte wieder nach Hause. Im den folgenden Tagen und Wochen war er sehr, sehr schwach und verwirrt. Es war für mich ein Schock und fast unbegreiflich, dass ein Mensch von zwar 89 Jahren, aber bis dahin für sein Alter noch recht fit und bei gutem Verstand, so plötzlich dement und völlig pflegebedürftig werden konnte.
Es waren anstrengende Wochen mit sehr unruhigen Nächten, alles war neu für mich und der ganze Tagesablauf musste daraufhin eingeteilt werden, dass mein Vater mich rund um die Uhr brauchte. Alles andere - Ferienpläne, Arbeitsvorhaben im Haus und auch dieser Blog - war unwichtig geworden. Meine Gedanken kreisten um die Herausforderungen dieses neuen Alltags und darum, was das für die Zukunft bedeuten würde. Ich hatte immer gewusst, dass ich meinen Vater, falls nötig, pflegen wollte. Aber ich hatte mir nie ausgemalt, dass das heißen könnte, wochenlang jede Nacht drei-, viermal aufzustehen und einem hilfsbedürftigen Menschen beizustehen.
Wunderbarerweise wurde mir die Entscheidung: "Pflegeheim oder zu Hause behalten" letztlich doch erspart.
Wunderbarerweise wurde mir die Entscheidung: "Pflegeheim oder zu Hause behalten" letztlich doch erspart.
Es ist für mich immer noch erstaunlich und fast unbegreiflich, dass im Laufe des Herbstes sich nicht nur der körperliche, sondern auch der geistige Gesundheits- zustand meines Vaters wieder erheblich gebessert hat. Er bekam wieder Appetit. Wurde ganz allmählich wieder etwas selbständiger in den täglichen Verrichtungen. Stieg eines schönen Tages mühsam wieder die Treppe hinauf. Kämpfte darum, seinen Herd wieder bedienen und die Zeitung lesen zu können. Fand ganz, ganz langsam in die Zeit zurück. Wir konnten wieder kleine Spaziergänge machen, inzwischen sogar ab und zu kleinere Ausflüge. Im November waren wir zusammen in dieser Ausstellung - nie hätte ich gedacht, dass so etwas noch einmal möglich sein würde! Und es hat ihm Spaß gemacht, auch wenn er danach recht müde war.
Inzwischen hat sich unser Alltag eingependelt. Mein Vater hat sich einiges von seiner Eigenständigkeit zurückerobert, braucht allerdings in vielem weiter Unterstützung, die ich ihm aber gerne gebe. Ich bin so dankbar, dass wir ihn bei uns behalten konnten. Es ist nicht mehr ganz wie vorher, er hat sich verändert. Eine gewisse Desorientierung oder auch merkwürdige irreale Vorstellungen treten phasenweise mal mehr, mal weniger auf, es gibt depressive Tage. Aber ich lerne mit der Zeit besser damit umzugehen, ich habe mich innerlich auf dieses Auf und Ab eingestellt und weiß, worauf ich achten muss, damit es ihm möglichst gut geht (z.B. genug trinken - ein ganz schwieriges Thema...).
Und nun geht das Jahr zu Ende und ich hoffe, dass uns das neue noch das eine oder andere schöne gemeinsame Erlebnis bringt. Für ein Jahr, in dessen Mitte man sich keinerlei derartige Hoffnungen mehr machen konnte, ist das ein guter Schluss.
Und so wünsche ich auch allen, die mich hier ab und zu besuchen, einen guten und gesegneten Anfang und viel Grund zur Freude im Neuen Jahr! Geht eurer Wege wohlbehütet, schaut gut nach euch. Bis dann!