Montag, 6. Juni 2016

Zwölf Tage

Ein paar Worte voraus:
Nach einer unfreiwilligen, durch Unvorhersehbares verursachten Pause (wenn auch nur von 12 Tagen) wieder mit dem Schreiben anzufangen, um die Ereignisse nachträglich festzuhalten, ist gar nicht so einfach. Wo fange ich an, was erzähle ich und was gehört nicht in die Blogöffentlichkeit? Schon damals habe ich z.B. lange gezögert, bevor ich über meinen Vater geschrieben habe. Es ist mir aber doch wichtig, Familiäres und Persönliches nicht ganz auszuklammern, und ich versuche mit der gebotenen Behutsamkeit, meine Erlebnisse in Worte zu fassen. Dieser Blog ist für mich eben auch ein Tagebuch - kein sehr intimes, aber auch nicht nur eine Sammlung von Anekdoten oder Urlaubsbildern. 
Wie wertvoll dieses Tagebuch für mich ist, wurde mir so recht bewusst, als im letzten Jahr die Festplatte meines Laptops kaputtging, mit den Fotos der letzten sieben oder acht Jahre drauf. Zwar habe ich lange Zeit analog fotografiert und deshalb so viele Kinder- und Familienfotos auf Papier, dass die verlorenen digitalen aus einigen Jahren zu verschmerzen sind. Aber wie froh war ich, als mir klar wurde, dass viele dieser Fotos und die damit verbundenen Erinnerungen ja im Blog "aufbewahrt" sind, zusammen mit Berichten über besondere und vor allem über Alltags-Erlebnisse. Ich habe mit großem Genuss und viel Freude meine alten Einträge gelesen und gedacht: Wie gut, wie wunderbar, dass ich rechtzeitig damit angefangen habe! Und nicht nur, aber auch aus diesem Grund werde ich auch weiterhin manches von dem, "was sich begibt", hier aufbewahren.

Nun also, was hat sich begeben?
Vor zwölf Tagen ist mein Vater nachts im Stockdunklen auf der Kellertreppe gestürzt. Er muss wohl aufgewacht, in völlig desorientiertem Zustand dorthin geraten und die letzten paar Stufen hinuntergefallen sein. Kein Schrei, kein Hilferuf. Wenn der große Sohn, der eben zu Besuch war, nicht noch wach gewesen wäre und den Plumps gehört hätte... ich mag es mir gar nicht vorstellen.
Der Rettungswagen war schnell da (auch wenn es mir furchtbar lang vorkam), mein Papa war die ganze Zeit ansprechbar und in der Lage, auf Fragen nach Name, Adresse und Geburtstag zu antworten. Nur wo er sich befinde und wie er dahin gekommen sei, konnte er nicht sagen. Auf dem Kopf hatte er eine große Platzwunde, die heftig blutete. Nach den Untersuchungen in der Klinik stand fest, dass er sich wunderbarerweise nichts gebrochen hatte und äußerlich mit heftigen Prellungen davongekommen war. Im CT zeigten sich allerdings kleine Hirnblutungen, die weiter beobachtet werden sollten.


Es folgte eine Woche im Krankenhaus, die für ihn kaum zu ertragen und für mich deshalb sehr anstrengend war. Die Klinik kann nichts dafür, ich bin dort - mit einer einzigen Ausnahme - nur freundlichen, hilfs- und auskunftsbereiten, aufmerksamen Ärzten, Ärztinnen, Schwestern und Pflegern begegnet. Aber für meinen Vater war ein Krankenhausaufenthalt schon im letzten Jahr (als er noch besser beieinander war) der reine Horror. Für ihn ist es in dieser unvertrauten Umgebung, mit all den fremden Menschen, dem ungewohnten Tagesablauf usw., als ob ihm der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Und nun war er durch die Blutungen und Schmerzmittel benommen und verwirrt, aß und trank fast nichts, war niedergeschlagen oder apathisch, hatte dazwischen aber auch immer wieder äußerst unruhige Phasen, wo er völlig den Kontakt zur Wirklichkeit verlor, aus dem Bett steigen wollte, um sich schlug und verzweifelt gegen das Festgehaltenwerden kämpfte. Er tat mir so furchtbar leid. Ich war froh, dass ich zu jeder Tages- und Nachtzeit kommen und bleiben konnte, und fuhr nur immer wieder für ein paar Stunden Schlaf nach Hause. Die Nachtschwester versorgte mich netterweise mit Kaffee und einem bequemen Polster-Rollstuhl...
Es war anstrengend, ja, aber es gab in diesen Tagen und Nächten auch Momente, die ich nicht missen möchte. Eine kostbare Nachtstunde, gegen Morgen, wo er ganz klar war und leise alles vor sich hin sagte, was ihm wichtig war im Blick auf seinen Tod. Vom Text für die Beerdigung bis zu Erinnerungen an manches aus der Vergangenheit, was ihn belastet hatte oder noch beschäftigte. Ich dachte schon: jetzt ist es soweit... aber dem war nicht so. Er hatte am nächsten Tag keine Erinnerung mehr an dieses nächtliche Gespräch, aber ich werde es nicht vergessen.
 
 
Da mein Vater klar geäußert hatte, dass er im Ernstfall keine intensivmedizinischen Lebenserhaltungsmaßnahmen wünscht, und auch eine entsprechende Patientenverfügung hat, wurde er nach einer Woche entlassen. Nun liegt er hier in einem Pflegebett, kann sich wegen Rückenschmerzen noch wenig bewegen und wir üben täglich das Aufstehen mit Hilfe. Wie ich meinen sportlichen Vater kenne, traue ich ihm zu, wieder auf die Beine zu kommen, wenn auch sicher langsam. Das größere Problem ist die geistige Verfassung, die ihm und uns gerade sehr zu schaffen macht. Ich kann mir kaum vorstellen, das sich das wieder wesentlich bessert, aber da ich ja schon einmal erlebt habe, wie er sich nach einem - auch geistigen - Zusammenbruch wieder ins Leben zurückgekämpft hat, wenn auch in ein sehr eingeschränktes, gebe ich die Hoffnung nicht ganz auf. Nur wenn ich an unseren letzten (ja, nun vielleicht wirklich letzten) Spaziergang im Wald vor zwei Wochen denke, langsam, aber stetig und mit kleinen, alltäglichen Gesprächen, dann könnte ich heulen.

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Um dem etwas Heiteres entgegenzusetzen, kommen zum guten Schluss noch drei winzigkleine "Montags-Mandalas", (inspiriert von "jahreszeitenbriefe") und gelegt auf kreisrunden grünlichen Flechten mit dem, was auf der Wiese hinterm Klinikzimmer zu finden war:




Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass mein Jüngster (18) von seinem ersten und durch die Wetterverhältnisse gleich ziemlich dramatischen Musikfestival, nämlich von "Rock am Ring", heute Gott sei Dank wohlbehalten heimgekommen ist. So kann ich am Ende dieser zwölf sorgenvollen Tage doch beruhigt einschlafen. Mir und euch allen wünsche ich eine ruhige, sommerlich schöne Woche!

12 Kommentare:

  1. Liebe Brigitte,
    ach oh weh.
    Da hast du ja eine harte Zeit hinter dir - oder besser, du steckst noch immer darin.
    Gerade ringe ich ein wenig um Worte, hier in ein paar Zeilen Kommentar zusammen zu fassen, was zu sagen wäre.
    Wie gut, dass es nicht zu schlimmeren körperlichen Verletzungen gekommen ist, wie gut, dass dein Sohn zur Stelle war, wie gut, dass es diesen nächtlich- wachen Moment gab. Wie gut, dass du schlafen kannst, auch wenn die Erfahrung lehrt, dass innere Zusammenbrüche oft erst folgen, wenn die Krise vorüber scheint.
    Viel Kraft wünsche ich dir und alles Gute deinem Papa! (Er hat schöne Hände.)
    Claudiagruß
    P. S. Ja, so ein Blog steckt voller Leben und lebendigen Momenten. Auch wenn ich keine Fotos meiner Lieben zeige, sehe ich ihre Gesichter in der Zeit um die Einträge herum vor mir, weiß um Lebenssituationen und -gefühle. Wie gut, diese Erinnerungen bewahrt zu haben.

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  2. Liebe Brigitte,
    auch wenn solche Lebensphasen einen sehr erschöpfen können, steckt andererseits auch Gutes darin. Wie gut, daß du da sein kannst für deinen Papa. Wie gut! Ich drücke dich in Gedanken.

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  3. Liebe Brigitte,
    ich wünsche dir und deinem Papa alles Gute. Ihm viel Gesundheit und dir viel Kraft um alles gut bewältigen zu können.
    Pass auch auf dich selbst auf!
    Alles Liebe,
    Marion

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  4. Rückenschmerzen sind zermürbend. Gibt es Möglichkeiten diese zu lindern? Ich bin überzeugt, dass das ein Stück weit auch den Lebensgeist weckt und Dein Vati " auf die Beine" kommt, es ist ja sprichwörtlich. Seine Sportlichkeit wird ihm ganz sicher helfen. Geduld und Durchhaltevermögen, das hast Du und das ist jetzt sehr wichtig. Dass man selbst auch hin und wieder Durchhänger hat, ist die Pause, die die eigene Seele braucht. Es ist viel zu bewältigen.
    Meine Gedanken sind bei Dir.

    Alles Liebe Euch
    Beate

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  5. Du Liebe, ich denk an Dich, an Euch. Es ist schmerzhaft wie auch erfüllend, unsere alten Eltern begleiten zu dürfen. Auch alles Schwere daran, wird zum großen Schatz und läßt unsere Liebe wachsen. Ich wünsche Dir viel Kraft und gute Momente mit Deinem Vater. Und ihm, dass die Schmerzen vergehen.
    Lieben Lisagruß!

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  6. Liebe Brigitte,
    das Pflegen ist eine schwere Sache. Verrichtungen am Körper lange nicht so wichtig, wie das einfache Da-Sein.
    Das was du gibst ist sehr wertvoll. Dazu wünsche ich dir eine nicht versiegende Quelle der Hoffnung und Kraft.
    So wie es kommt, ist es gut.
    Herzliche Grüße,
    Angela

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  7. Vielen Dank euch allen für euer Einfühlen und den Zuspruch! Am Anfang ist es immer am schwierigsten und aufregendsten, wenn man mal einen guten Rhythmus im Tagesablauf gefunden hat und einem manches geübter von der Hand geht, wird es auch wieder ruhiger werden. Hoffe ich.
    Die Schmerzen im Kreuz treten nur auf während bestimmter Bewegungen wie drehen im Bett oder Aufsetzen und im Stuhl sitzen. Im Stillliegen reichen die starken Schmerzmittel, um einigermaßen Ruhe zu haben.

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  8. Liebe Brigitte, wie schwer diese erste Zeit für dich war, welche Gedanken durch den Kopf gehen und sich lastend auf alles legen, werden so deutlich und wie sollte es auch anders sein. Beide Schwiegereltern sind auch gerade im Krankenhaus. Kinder, Eltern, wir sind sowohl das eine wie auch das andere und sorgen füreinander, bei allem Leid ist diese Gewissheit doch ein Trost. Alles alles Liebe, Birgit

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  9. Liebe Brigitte,
    ich wünsche dir kraft, für das was kommt, genieße noch die zeit mit deinem Vater, du wirst dich später immer wieder daran erinnern.
    Mein Vater selbst Arzt, hatte seine schwere Erkrankung für sich behalten und wir haben erst dann von dem Ausmaß der Krankheit erfahren, als er nur noch eine Woche zu leben hatte.Er wollte meine Mutter und uns nicht ängstigen und er wollte nicht dass etwas unternommen wird, weil er wusste wie schrecklich dann die fürihn verbleibende Zeit werden würde. Er hat im Krankenhaus Abschied genommen von alle seinen ihm wichtigen Freunden, hat alles gesagt was er noch sagen wollte. Er hat noch erfahren dürfen, dass er ein Urenkelchen bekommen würde. Wir haben jeden Tag schöne Gespräche im Krankenhaus gehabt, haben zusammen gelacht und geweint. Er wollte immer, dass wir ganz viel reden, weil er so gerne unsere Stimmen "mitnehmen" wollte. Dann eines Morgens gegen 5 Uhr , meine Mutter war die Nacht bei ihm, richtete er sich auf und sagte zu meiner Mutter wann es denn Frühstück gäbe, sie konnte ihm nicht mehr antworten, er legte sich zurück ------ und war verstorben.
    Im Nachhinein sagen wir alle, er hat für sich großartig gehandelt ------- das ist nur 22 Jahre her und mir ist es noch immer so, als wäre es gestern gewesen.
    Meine Mutter ist vor 3 Jahren verstorben, sie redete überhaupt nicht mehr, war schon ein paar Jahre geistig verwirrt, mal weniger, mal mehr. Zum Schluss erkannte sie uns nicht mehr-----ich konnte sie nichts mehr fragen und das, was meine Mutter als meine Mutter ausmacht, das gab es nicht mehr. Ihr Wunsch zu sterben ist dann vor 3 Jahren in Erfüllung gegangen und wir waren eigentlich irgendwie froh, dass sie gehen durfte. Jeden Tag, wenn ich zu ihr kam, hat sie gesagt, dass sie jetzt endlich sterben möchte, sie hätte alles erlebt und es wäre ihr größter Wunsch. Sie war zu keinem Zeitpunkt organisch krank oder hatte Schmerzen. Der Arzt, der den Totenschein ausstellte, sagte, sie ist den natürlichsten Tod der Welt gestorben-----nämlich an Altersschwäche-----sie ist erloschen wie eine Kerze im Alter von 86 Jahren.
    Jetzt ist mein Post länger geworden, als er eigentlich sollte. Bitte nicht böse sein.
    Unsere Enkeltöchter haben ihrer heißgeliebten uromi noch Briefe mit in den Sarg gelegt und ein Foto wo wir alles drauf waren, das wollten sie, dass Uromi das mitnimmt.
    LG Ute

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  10. .... entschuldige bitte die Tippfehler.
    Ute

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  11. Oh je, da hast du ja schwere Tage hinter dir liebe Brigitte. Ich bin aber froh, dass es gut ausgegangen ist und dein Vater sich langsam wieder erholt. Ich wünsche ihm gute Besserung und dir viel Kraft. Alles Liebe für euch.
    Papatya

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  12. Ach, das ist nicht leicht. Freunde von uns sagten letztens: Wenn die Kinder erwachsen sind, sind die eigenen Eltern alt.
    Ich wünsche Dir, deiner Familie und deinem Vater alles Gute!
    Liebe Grüße,
    Kathrin

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