Dienstag, 3. Februar 2015

Was geht?


Es wird Zeit. Wirklich. Allerhöchste Zeit, diesem meinem Blogpflänzchen wieder einmal etwas Nahrung zu geben, sonst könnte es mir noch verhungern... 
Es ist nicht so, dass mir nichts mehr eingefallen wäre, worüber ich schreiben könnte. Aber angesichts der aufwühlenden Ereignisse in benachbarten und auch in weiter entfernten Teilen der Welt, die uns die Nachrichtensendungen ins Haus brachten, fiel es mir irgendwie schwer, mich über das Wetter, grippale Infekte oder selbstgestrickte Socken auszulassen. Und über die Geschehnisse selber in angemessener Art zu schreiben, ohne nur zu wiederholen, was andere schon in klare, zornige oder auch nachdenkliche Worte gefasst hatten, dazu fehlte mir die Energie. Es erschreckt mich selber, ich habe ein lahmes Gefühl dabei, eine gewisse Müdigkeit macht sich breit, immer wieder neue, unerträgliche Geschichten in mich aufnehmen zu müssen, von denen ich mit schrecklicher Gewissheit weiß, dass sie wahr sind - und dass jeden Tag hunderte anderer schrecklicher Geschichten irgendwo auf der Welt passieren, von denen man nichts erfährt. Natürlich wird auch hier bei uns darüber geredet und sich empört, über Ursachen und Wechselwirkungen diskutiert und darüber, wo Freiheit anfängt und wo sie ihre Grenzen hat. Aber so streitlustig und diskussionsfreudig ich früher war, so erschöpft und überfordert fühle ich mich jetzt manchmal. Ist es das Alter? Ich weiß nicht - mein Vater ist dreißig Jahre älter als ich und legt bei Gesprächen über den Lauf der Welt und die aktuelle Politik oft ein Temperament und eine Schärfe an den Tag, die ich nur bewundern kann. (Ab und zu sagt er aber auch: Ich bin froh, dass ich dies oder jenes nicht mehr erleben werde...).
Viele BloggerInnen haben ja gleich nach den Mordanschlägen in Paris ihrem Betroffensein (im Wortsinne: es betrifft uns alle) und ihrem Eintreten für die Freiheit von Presse, Religion und Weltanschauung, ihrer Ablehnung von Gewalt und ihrem Widerstand gegen die Verbreitung von Angst und Schrecken durch religiöse Fanatiker Ausdruck verliehen, indem sie das "Je suis Charlie" - Logo übernahmen. Ja, dachte ich, das ist gut, das muss jetzt sein! Mach ich auch! Stattdessen fing ich an, über einen Blogtext unter der Überschrift "Bin ich Charlie?" nachzudenken. Und kam zu dem Schluss, dass ich es nicht bin. Erstens, weil ich finde, dass Satire und Karikatur ihren Gegenstand aufspießen, aber nicht mit Dreck bewerfen sollten. Und zweitens - jetzt selbstkritisch -, weil ich nicht weiß, ob ich den Mut hätte, mein Recht auf freie Meinungsäußerung auch dann öffentlich wahrzunehmen, wenn ich damit mein Leben riskieren würde. Wahrscheinlich nicht. Vielleicht, wenn es um etwas ginge, das mich oder einen geliebten Menschen existentiell beträfe. Man kann es nicht wissen, bevor es soweit ist.
So habe ich gedacht und gegrübelt, statt zu schreiben, und mich davor gedrückt, womöglich etwas Unausgegorenes von mir zu geben, das der Komplexität des Themas nicht gerecht würde... auch das eine Art von Risikoscheu. Auch das etwas, was ich überwinden möchte, abschütteln wie diesen Grauschleier von emotionaler Müdigkeit und In-Ruhe-gelassen-werden-wollen, der momentan sein Gegenstück findet im Blick nach draußen: Schneeregen, Graupelschauer, matschigbrauner Boden überall, Temperaturen knapp über null... brrrr... nicht Fisch und nicht Fleisch. Sehnsüchtig betrachte ich die herrlichen  Glitzerschneelandschaften aus höheren Lagen - ich hatte mich in dreißig Jahren Schwarzwald, Alb und "Oberland" so daran gewöhnt, nun fehlt es mir.
Ja, und was kommt jetzt, nach diesem Klagegesang über alles, was nicht geht? Was geht? Martin Luther soll ja mal gesagt haben, dass er, auch wenn er wüßte, dass morgen die Welt unterginge, doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen würde. Bitte verzeiht mir die etwas plumpe Anlehnung: ich denke, auch ohne die Augen zu verschließen vor all dem Unerträglichen in der Welt, ist es möglich, Socken zu stricken, Bilder zu malen, Kindern Geschichten vorzulesen und Kuchen zu backen. Und das alles miteinander zu teilen, einander zu inspirieren. Es ist so wichtig, sich nicht lähmen zu lassen, sondern die Freude am Schöpferischen, an Worten, Bildern, Hand-Arbeit zu pflegen und zu teilen. Damit das Andere, die Gegenbewegung zum Zerstörerischen, das Aufbauende auch wächst. Dabei vor den schlimmen Geschehnissen nicht die Augen zu verschließen, sondern das winzige bisschen, was wir vielleicht tun können, zu tun, das ist die Kunst.



So, geschrieben ist es. Jetzt gilt (mit Erich Kästner): "Es gibt nichts Gutes außer: man tut es."
Habt eine gute Zeit, bis bald.

23 Kommentare:

  1. Liebe Brigitte,
    mir hat in den Krisen des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens immer wieder geholfen, dass ich mich an diesen Satz erinnerte und letztlich Tag für Tag neu erinnere:
    Beten und Tun des Not-Wendigen. Im Wortsinne.
    In diesem Sinne - einen guten Tag und eine gute Zeit
    Ingrid

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    1. Danke, dass du es schreibst. Bei mir steht es eher zwischen den Zeilen...

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  2. Das ist "Amselgesang", wie ich ihn schätze und liebe. Danke, liebe Brigitte!

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  3. Hallo Brigitte,
    das hast Du so gut geschrieben. Ich fühle mich seit einem Jahr so, um mich rum sterben die Menschen und ich habe Schwierigkeiten das Schöne zu sehen oder was schönes zu machen -hinterfrage alles.
    Ich versuche mich abzulenken indem ich handarbeite - gehe einmal in der Woche uu einer Gesprächsrunde um klarer zu sehen.
    Du hast das auf jedenfall auf den Punkt gebracht. Mir fehlen die Worte.
    Danke.
    Liebe Grüße
    Birgit

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    1. Es ist ein schmaler Grat zwischen "Augen zu und nicht hinschauen" und sich runterziehen lassen in die Abgründe des Lebens, so wie es nun mal ist. Ich habe darüber mal mit einer Psychologin gesprochen, sie hat mir geholfen zu verstehen, dass es niemandem nützt, wenn ich mich "anstecken" lasse von weit entferntem Leid, wenn ich zulasse, dass es mich schwächt. Das heißt nicht, dass es mir egal wäre. Aber sie sagte, dass es eine Überforderung sein kann, von jeder Katastrophe irgendwo auf der Welt sofort zu erfahren, wenn man dazu neigt, mit zu leiden. Wir brauchen unsere Kraft für die Menschen um uns herum. Und darum finde ich handarbeiten wunderbar, weil es Kraft gibt und Freude macht!
      (An meinem Text siehst du, dass es mir auch nicht immer leicht fällt, das mit der Distanzierung von den Nachrichten...)
      Alles Liebe für dich, Brigitte

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  4. Liebe Brigitte,
    auch mir sprechen deine Worte aus dem Herzen.
    Ich habe mich gefragt, wem ist geholfen, wenn ich wegen der schrecklichen Dinge, die jeden Tag und überall passieren (nicht nur in Paris oder Dresden), nicht über die schönen, von mir aus auch simplen Dinge des Lebens schreibe? Mein Blog ist ein Handarbeitsblog und darum lasse ich mich auch dort über politische Themen nicht aus. Das ist eine ganz andere Geschichte und darum schreibe ich trotz allem weiter nur über Wolle und Buntes.

    Ich schick dir ganz herzliche Grüße aus dem eiskalten,, sonnigen und verschneiten (immerhin 40 cm im Garten) Unterallgäu und wenn du mal wieder in diese Richtung kommst, dann schau doch einfach mal vorbei, ich würde mich riesig freuen.

    Melanie

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    1. Wolle und Buntes ist eine wunderbare Medizin gegen Grauschleier und depressive Verstimmungen! Genau wie Musik und gute Bücher und überhaupt alle Arten von Kunst/-handwerk. Wenn die Leute aufhören würden, die Welt nach ihren irrsinnigen Vorstellungen "verbessern" zu wollen, und stattdessen Bilder malen, Gärten pflanzen oder Socken stricken würden, gäbe es einige Probleme weniger...
      (Bei dir hereinschauen: steht auf meiner Wunschliste! )

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  5. Liebe Brigitte,
    auch mir sprechen deine Worte ganz genau aus dem Herzen.
    Intensiv habe ich darüber nachgedacht, ob ich Charlie bin - oder gar nicht sein möchte...
    Als ich den französischen Schriftzug das erste Mal sah, da las ich flüchtig und nicht "je sius", sondern "jesus" und fragte mich, was er wohl sagen und tun würde, in unserer Zeit. Karikaturist wäre er wohl kaum.
    Als Katholikin bin ich nicht gerade Lutherfan und für Apfelbäumchen ist das komische Aprilwetter da draußen im Februar wohl auch zu kalt.
    Tragen wir also unsere Hoffnung in Form bunter, warmer Socken in die Welt.
    Claudiagruß

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    1. :-) mir ging es ebenso: auch ich habe zuerst "jesus" gelesen... nun, Karikaturist wäre er wohl nicht, aber er konnte schon auch ganz ordentlich provozieren! Aber eben nicht auf "Teufel komm raus", sondern um die Leute wachzurütteln.

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    2. Du hast es auch zuerst gelesen?
      Ich fürchtete, es jemandem zu erzählen, weil ich glaube, dass manche Leute es für dumm ansehen.
      Hier bei dir oute ich mich erstmals.
      Irgendwie denke ich, es ist kein Zufall, mich derart zu "verlesen" und ich suche die Botschaft für uns/ mich dahinter.

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    3. Ich hab das auch so gelesen und bin mir sicher, dass wir es so lesen sollten. Es gibt keinen sogenannten Zufall, das fällt uns zu.
      ♥ Marion

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  6. Liebe Brigitte,
    wie schön du alles formuliert hast, ich würde das genauso übernehmen. Es passiert so viel Leid auf dieser Welt, so dass ich auch vieles nicht mehr an mich ranlassen will/kann. Ich finde es entspannend in meinen Lieblingsblogs auch mal über so simple Sachen zu lesen, wie über selbst gestrickte Socken :)))
    Vielen Dank für diesen Beitrag und weiterhin alles Liebe von
    Papatya

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    1. Socken stricken wird die Welt nicht retten, aber es macht sie doch ein wenig erträglicher, nicht? ;-)

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  7. Liebe Brigitte,
    ich denke mir, es har wirklich etwas mit dem Alter zu tun. Nicht mehr Jung und nicht ganz alt , aber schon einiges erfahren.
    Ich brauche gar nicht in die weite Welt schauen ; gleich hinter der Haustür geballtes Elend ( unzählige Putenställe und andere Massentierhaltung) Täglich werden Kadaver heraus " selektiert ". Wie muss ein Mensch veranlagt sein, der das kann, ein Leben lang ?
    Mir werden die Arme steif und schwer und ich versuche Ruhe zu finden. Fernseher haben wir nicht, aber Nachrichten hören wir . Das Ausatmen möchte immer tiefer gehen aber Erleichterung tritt nicht ein.
    Das alltägliche Leben mit den Pflichten und den schönen Hand Arbeiten helfen mir, Leichtigkeit ins Leben zu bringen und die Gedanken umzulenken.
    Herzliche Grüße und alles Gute für dich
    Angela

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    1. Das mit den Putenställen jeden Tag vor Augen zu haben, ohne etwas dagegen tun zu können, stelle ich mir sehr schwer vor. Und was wir tun können - kein solches Fleisch zu kaufen und auch anderen davon zu erzählen - ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Umso wichtiger ist es, ein Gegengewicht zu haben, denn es hilft niemandem, wenn wir uns total runterziehen lassen. Das heißt ja noch lange nicht, dass es einem egal wäre.
      Auch dir alles Gute! Brigitte

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  8. Über das Logo "Je suis Charlie" in meinem Blog habe ich in letzter Zeit auch oft nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gekommen das Satire gut ist und auch seinen Platz haben muss, aber es sollte allerdings doch nicht andere Glaubensrichtungen in den Schmutz ziehen und beleidigen.
    Da muss ich dir 100% zustimmen.
    LG Ute

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    1. Genauso sehe ich das auch. Ich bin ein großer Fan von guten Karikaturen, die den Nagel auf den Kopf treffen und ruhig auch wehtun dürfen. Ich fände es toll, wenn Islamismus-Kritik so daherkäme, dass auch demokratisch gesinnte Muslime damit einverstanden sein könnten. Denn genau die braucht es, damit diese Religion ihre "mittelalterlichen" Züge ablegen und zum Frieden in der Welt beitragen kann.
      Übrigens weiß ich natürlich, dass "Je suis Charlie" nicht so gemeint war, dass man sich zu 100% mit den Inhalten identifiziert. Es war ein sehr beeindruckender Protest gegen ideologische Gewalt. Ich wollte das nicht kritisieren!

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  9. Aber ja, natürlich muss es auch das Gute und Schöne, das Friedliche geben, denn was wäre die Welt sonst für ein Ort? Dass man sich nicht ausschließlich mit politischen Missständen, mit Ärgernissen, Ungerechtigkeiten und Leid beschäftigt ist nicht zwangsläufig tumbes Wegschauen, sondern sowohl notwendiger Selbstschutz als auch Fokussierung auf die Dinge, die gut sind, die Hoffnung machen und Kraft geben zum Weitermachen und Anlass sind dafür einzutreten, unsere Welt jeden Tag ein bisschen besser zu gestalten, im Kleinen - so und so.

    Zu den Flaschenleiberl:
    Die Wärmflaschen passen gut durch den Hüllenhals, wenn man sie aufrollt. Der Hals muß nur so breit sein, dass die Gewindestelle der Wärmflasche gut durchpasst, alles andere ist flexibel genug, um durchgestopft zu werden... natürlich leer. ;-)

    Lieber Gruß,
    Katja

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  10. Du hast mir aus der Seele gesprochen..........ich denke ebenso.
    Liebe Grüsse aus Hamburg RIKA

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  11. Ich hatte dir gleich nach deiner Veröffentlichung geschrieben, allerdings auf dem Pc meines Mannes und irgendwie ging es dann nicht zu veröffentlichen. Jetzt sag ichs nochmal kurz, weils wichtig ist:
    Mein Motto ist mich nicht allzu sehr auf all die Meldungen und die grausamen Schwingungen einzulassen, auch nicht auf die, die dagegen sind. Denn etwas was dagegen ist, erhält es auch dadurch am Leben, denn es bekommt Aufmerksamkeit (so meine Theorie wie das funktioniert).
    Was ich tue? Ich schicke Frieden, friedliche Gedanken, Bilder vom Frieden, Friedensgefühle zu allen. Zu den "Bösen" und zu den "Guten". Damit ihr Drama aufhören kann. Nach dem Motto "Die Liebe hört niemals auf".
    Ich musste es einfach sagen, auch nachdem es schon länger her ist, dass du uns deine Gedanken aufgeschrieben hast.
    Hab(t) einen schönen Sonntag und liebe Grüße, Marion

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    1. Liebe Marion, danke, dass du sie doch nochmal aufgeschrieben und hergeschickt hast, deine Gedanken zu meinen. Es ist etwas ganz Wichtiges, dieses innere sich-Verbinden mit der Lebensenergie, mit allem was Leben und Liebe und Frieden fördert. Ich würde es als eine der vielen Arten zu beten bezeichnen, aber es ist nicht so wichtig, wie man es nennt. Wichtiger ist, dass viele es tun, auf ihre je eigene Art und Weise.
      Auch dir noch einen schönen Sonntagabend! Brigitte

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  12. Es tut mir gut Deinen Post zu lesen, zu verstehen. Und auch die Kommentare.
    Doch nun möcht ich gerne wissen ob es Dir wieder besser geht? Hoffentlich hast Du Dich nicht ganz schlimm angesteckt, das wäre gar nicht schön.
    liebe Grüsse und schlaf gut .....
    Elisabeth

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  13. Danke, liebe Brigitte, für diesen schönen Text. Dieser Satz: "Es ist so wichtig, sich nicht lähmen zu lassen" trifft genau den Kern der Sache bzw. enstpricht genau meiner Meinung! Unser Alltag läuft trotzdem weiter mit allen Höhen und Tiefen.
    Liebe Grüße,
    Kathrin

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