Freitag, 26. Juli 2013

Himmel ... nah ...

Ich habe es nicht gesehen, wie er sich in der Nacht auf den Weg machte. Er war lautlos entwischt. Als es mir gelang, ihn einzuholen, marschierte er mit raschem, entschlossenem Schritt dahin. Er sagte nur:
"Ah, du bist da..."
Und er nahm mich bei der Hand. Aber er quälte sich noch:
"Du hast nicht recht getan. Es wird dir Schmerz bereiten. Es wird aussehen, als wäre ich tot, und das wird nicht wahr sein..."
Ich schwieg.
"Du verstehst. Es ist zu weit. Ich kann diesen Leib da nicht mitnehmen. Er ist zu schwer." 
Ich schwieg.
"Aber er wird daliegen wie eine alte verlassene Hülle. Man soll nicht traurig sein um solche alten Hüllen..."
Ich schwieg.
Er verlor ein bisschen den Mut. Aber er gab sich noch Mühe:
"Weißt du, es wird wunderbar sein. Auch ich werde die Sterne anschauen. Alle Sterne werden Brunnen sein mit einer verrosteten Winde. Alle Sterne werden mir zu trinken geben..."
Ich schwieg.
"Das wird so lustig sein! Du wirst fünfhundert Millionen Schellen haben, ich werde fünfhundert Millionen Brunnen haben..."
Und auch er schwieg, weil er weinte...

"Das ist es. Lass mich einen Schritt ganz allein tun."
Und er setzte sich, weil er Angst hatte.
Er sagte noch:
"Du weißt, meine Blume... ich bin für sie verantwortlich! Und sie ist so schwach. Und sie ist so kindlich. Sie hat vier Dornen, die nicht taugen, sie gegen die Welt zu schützen..."
Ich setzte mich, weil ich mich nicht mehr aufrecht halten konnte.
Er sagte:
"Hier... Das ist alles..." 
Er zögerte noch ein bisschen, dann erhob er sich. Er tat einen Schritt. Ich konnte mich nicht rühren.
Es war nichts als ein gelber Blitz bei seinem Knöchel. Er blieb einen Augenblick reglos. Er schrie nicht. Er fiel sachte, wie ein Blatt fällt.
Ohne das leiseste Geräusch fiel er in den Sand.

(aus: Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz)

Eine Ehefrau, die diesen Text für die Trauerfeier für ihren Mann ausgesucht hat, weil das Buch schon seit der Hochzeit eine Rolle in ihrem gemeinsamen Leben gespielt hat...
Ein Pfarrer, der leise, mit Weisheit und Wärme darüber spricht. Der nicht so tut, als wüsste er, warum Gott solche Dinge zulässt und wozu sie gut sein sollen. Der aber Mut macht, darauf zu vertrauen, dass alles, was geschieht, von einer größeren Wirklichkeit umfangen und gehalten wird, die von Liebe und Verantwortung erfüllt ist. Der nicht verschweigt, dass das Weinen und die Angst uns nicht erspart bleiben. Der aber den Kindern zuspricht, dass der Vater, der bisher so gut für sie gesorgt hat, ihnen nun auf eine andere, neue Weise nahe sein wird...
Kinder, Jugendliche, die ernst und ruhig, ab und zu an ihre Mutter gelehnt oder einen Blick mit ihr wechselnd, zuhören...
Eine Mutter, die völlig authentisch ist in der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Gefühlen, die da auftauchen. Die in den Tagen nach dem Unfall mit ihren Kindern weinen und schreien konnte, die aber beim Kaffee nach dem Gottesdienst auch mit spürbarer Freude über ihren Mann und die gemeinsamen Jahre spricht. Die dem Sohn, der sich anfangs stark zurückgezogen hatte, vorschlug, Muffins zu backen und mit seiner Schwester gebrannte Mandeln zu machen, wofür er von den Gästen Lob erntete. Die mit den Freunden und Verwandten redet und lacht und den Kindern ganz klar vermittelt: unser Leben geht trotz und mit aller Trauer und allem Schmerz weiter, und es ist ein gutes Leben! Und die Erinnerung an den Papa ist mittendrin in diesem Leben...

Solche und noch manch andere nachhaltige Eindrücke habe ich aus den letzten Tagen mitgenommen. Und immer wieder darüber nachgedacht, nachgefühlt... wie würde es mir in dieser Situation gehen? Was für Worte würde ich finden? Würde ich Worte finden?  Was wären meine wichtigsten, wesentlichsten Erinnerungen? Würde ich bedauern, etwas nicht gesagt oder getan zu haben? Und andersherum: was möchte ich nicht versäumt haben, wenn es mich treffen sollte? Was möchte ich dann z.B. für meine Kinder aufgeschrieben haben? Von welchen der Gedanken, die man im täglichen Leben meist nicht ausspricht, wäre es mir wichtig, sie weitergegeben zu haben?
Himmel - nah sind wir in jedem Augenblick, ob es uns bewusst ist oder nicht. Ich glaube, das möchte ich meinen Kindern gerne mitgeben, mit oder ohne Worte: dass niemand, mit dem man durch Liebe verbunden ist oder war, einfach verschwindet. Dass himmelweit und himmelnah am Ende keine Gegensätze mehr sind. Und dass Glauben mehr ist als Wissen, Vertrauen befreiender als Sicherheit.

8 Kommentare:

  1. Liebe Brigitte,
    danke für deinen sehr berührenden Text. Was du deinen Kindern mitgeben möchtest ist auch in meinem Sinne, nichts geht verloren, die Liebe und die Sehnsucht bleibt. Irgendwann kommt die Dankbarkeit, aber erst sehr viel später. Und ich glaube auch das zwischen Himmel und Erde eine Verbindung gibt die wir nicht sehen und nicht erklären können aber wir können es spüren.
    Liebe Grüße

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    1. Liebe "Frau Papatya Elira",
      ich wusste es nicht, dass du selber betroffen bist. Du weißt aus eigener Erfahrung, was ich nur denken, ahnen, nachzufühlen versuchen kann - jedenfalls soweit es den Ehepartner und Kindervater betrifft. Andere geliebte Menschen habe auch ich schon loslassen müssen.
      Danke für dein Lesen hier und deine Worte!

      Alles Gute und liebe Grüße,
      Brigitte

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    2. Liebe Brigitte,
      "mit selber betroffen" meinte ich den Verlust meiner Tochter nicht meinen Ehemann. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung nicht machen musste, allerdings gibt es auch nichts schlimmeres als seinen Kind zu verlieren. Ich bin immer sehr empfindlich wenn ich lese, das eine Familie einen großen Verlust zu verkraften hat. Dann fühle ich ganz fest mit diesen Menschen weil ich den steinigen Weg vor 4 Jahren auch gegangen bin....

      Liebe Grüße
      Papatya

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    3. Entschuldige bitte meine Unaufmerksamkeit - das von deinem Kind wusste ich natürlich! Es tut mir leid, dass ich dich jetzt falsch verstanden habe. Ja, ich glaube auch, dass ein Kind zu verlieren das Schlimmste und Schwerste ist. Weil es noch so schutzbedürftig ist, weil es soviel Zukunft und Liebe verkörpert, weil es so ein großes Stück von einem selber ist. Und weil es einfach so unbegreiflich ist, wenn Kinder vor den Eltern sterben.

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  2. Danke für Deine weiteren Worte, die mich sehr berühren. Es ist gut zu spüren, dass trotz der Schmerzen und Trauer ungeahnte Kräfte und Mut in den betroffenen Menschen schlummern.
    Liebe Grüße, Roswitha

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    1. Liebe Roswitha,

      auch ich danke d i r für dein so lebendiges Mitlesen, Mitdenken und -fühlen! Ich freue mich immer, wenn nicht "nur" Lobendes (so schön das ist!!), sondern auch weiterführende Gedanken hier auftauchen. Das ist so anregend und steigert die Freude am Bloggen ganz ungemein!
      Grüße von Herzen,
      Brigitte

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  3. Es ist so schwer ... danke für den Post, es ist so wichtig, nicht "drüber-weg-geschwiegen" wird.
    Die Zeit wird alles verändern, ja, das stimmt. Die Seele wird sich erholen, aber nie mehr so sein wie vorher.
    Ich weiss es auch, dass niemand verschwindet. Die Spuren bleiben hier. Manchmal noch nach Jahren gibt es solch besondere Augenblicke ....
    für Kinder ist es wichtig, auch wenn sie schon Teenager sind, dass sie gehalten werden. Immer und immerwieder
    herzliche Grüsse
    Elisabeth

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  4. Vielen Dank für den Text! Mehr kann ich dazu irgendwie nicht sagen. Er hat mich sehr berührt.
    Liebe Grüße,
    Kathrin

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